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Asbest - kein Staub wie jeder andere

3. Erfahrungsaustausch „Asbest“ am 15. Juni 2016 in Dortmund

Über Probleme durch nicht erkannte asbesthaltige Materialien im Gebäudebestand diskutierten in einer gemeinsamen Veranstaltung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) 170 Expertinnen und Experten. In dem weit gespannten Teilnehmerkreis waren Bauhandwerk und Sanierungsgewerbe, Abfallwirtschaft, Immobilienverwaltung und Wohnungswirtschaft, Asbestsachverständige, Gewerkschaften, Unfallversicherungen sowie staatlicherseits Bau-, Umwelt- und Arbeitsschutzbehörden vertreten. Im Zentrum der Veranstaltung standen die Fragen,

  •  bei welchen Arbeiten asbesthaltige Bauteile auftreten können,
  •  wann eine Freisetzung von Asbestfasern zu befürchten ist und
  •  wie kritische Bauteile im Vorwege erkannt werden können, damit es nicht zu einer Asbestfreisetzung kommt.

Zum Auftakt berichteten drei Referenten über ihre eigenen Erfahrungen bei der politischen Durchsetzung des Asbestverbots 1993, beim Schutz vor Asbest im praktischen Alltag eines Elektrobetriebes und bei der behördlichen Überwachung der Asbestvorschriften:

Gerd Albracht (Berater IALI) erinnerte in seinem Vortrag daran, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum hohen Krebspotenzial der Asbestfaser im Vorfeld des Asbestverbots von 1993 wirtschaftlichen Interessen lange untergeordnet wurden. Angesichts der enormen Verbreitung des Asbesteinsatzes herrschten damals zunächst Zögern und Hilflosigkeit, statt sich mit dem erforderlichen Nachdruck des Problems anzunehmen. Die hohen Zahlen tödlicher Erkrankungen bei den damals exponierten Menschen sind eine Mahnung, dass sich ein solcher Fehler nicht wiederholen darf. Albracht forderte auch, die Erkrankten von ihrem kräftezehrenden Kampf um eine Anerkennung als Berufskrankheit durch Veränderungen bei der geforderten Beweisführung zu entlasten.

Harald Henzel von der Berliner Arbeitsschutzbehörde LAGetSi stellte dar, welch weites Spektrum der Arbeitsqualität den Aufsichtsbehörden bei der Überwachung von Asbestarbeiten begegnet; von der gut geplanten und qualifiziert durchgeführten Arbeit bis zur „quick & dirty“-Baustelle mit anschließender Gebäudekontamination. Henzel betonte die Notwendigkeit sachgerechter Regelwerke, um auch seitens der Aufsichtsbehörden die sichere Durchführung von Asbestarbeiten wirkungsvoll unterstützen zu können: So sollte es z.B. nicht mehr möglich sein, Personen als Aufsichtführende einzusetzen, die sich als unzuverlässig erwiesen haben.

Manfred Sedlatschek (Betriebsratsvorsitzender der Elektro Kreuzpointner GmbH) schilderte, wie die Mesotheliomerkrankung eines ehemaligen Kollegen das Thema Asbest in der Firma stärker ins Bewusstsein rückte. In der Zusammenarbeit mit anderen Firmen und Gewerken zeige sich, dass viele Betriebe weniger sensibilisiert sind und deren Beschäftigte auf Hinweise zu Asbestrisiken überrascht reagieren. Faktoren wie knapp kalkulierte Festpreise und prekäre Arbeitsplatzverhältnisse könnten sich dann als fatal erweisen, weil wirtschaftliche Erwägungen davon abhalten können, einen Verdacht auf Asbest näher zu prüfen oder weiterzugeben.

Nach diesen einführenden Beiträgen stand im Mittelpunkt des ersten Themenblocks, wo und in welchem Ausmaß in Bestandsbauten mit Asbest zu rechnen ist – und welche Ansätze für die Erkundung und Beurteilung vielversprechend sein könnten:

Martin Kessel (Arcadis Deutschland) erläuterte, welche Rolle VDI-Richtlinien z.B. bei Erkundung und Bewertung von Asbest in baulichen und technischen Anlagen haben können. Er ging dabei auch auf die Beteiligungsmöglichkeiten im Entstehungsprozess der Richtlinien ein. Als Obmann des Arbeitskreises zur VDI 6202 Blatt 3 hob er hervor, dass die vom Thema „Erkundung und Bewertung von Asbest“ betroffenen Kreise ausdrücklich aufgefordert sind, sich z.B. durch Stellungnahmen an der Beschreibung dessen, was „anerkannte Regel der Technik“ ist, zu beteiligen.

Maria-Theresia Erat von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt referierte über das Thema Asbest im Bestand aus Sicht einer Bauordnungsbehörde. Sie betonte, dass das Bauordnungsrecht weniger als das Arbeitsschutzrecht auf Vorsorge ausgelegt sei, sondern primär der Gefahrenabwehr diene. Dies müsse etwa bei einer Forderung nach Entfernung potenziell gefährlicher Baustoffe berücksichtigt werden.

Alexander Berg (Sachverständigenbüro Dr. Berg, Hamburg) referierte in Vertretung für den erkrankten Uwe Schubert vom BZR-Institut in Bonn über Schwachstellen der Asbestrichtlinie.

Er wies auf das Urteil des BGH vom 27.3.2009 hin (Az. V ZR 30/08), wonach der normale Gebrauch einer Wohnung auch Reparaturen und kleinere bauliche Maßnahmen beinhaltet. Dann dürfte der nach § 3 MusterBauO geforderte Ausschluss von Gefährdungen kaum zu gewährleisten sein, wenn die Nutzer einer Wohnung nicht über asbesthaltige Materialien z.B. im Wandaufbau informiert sind bzw. ein Vermieter keine Hinweise gibt, an welchen Bauteilen nicht gearbeitet werden darf.

In ihrem Beitrag zur systematischen Untersuchung von Wand- und Deckenflächen in Hamburger Schulgebäuden zeigte Carina Jehn (Wesselmann Gebäudediagnostik), dass asbesthaltige Baustoffe in einem erheblichen Teil der Gebäude eingesetzt wurden. Zugleich zeigt das Beispiel, wie ein Gebäudeverantwortlicher vorgehen kann, wenn er für die sichere Durchführung routinemäßiger Instandhaltungsarbeiten wissen möchte, wo Asbest zu berücksichtigen ist. Durch die Untersuchung ließen sich ca. 60 % der Gebäude herausfiltern, welche als asbestfrei behandelt werden können. Asbestfunde in einzelnen Räumen oder nur bauteilbezogen gab es in etwa 20 % der Gebäude, ebenfalls etwa 20 % ergaben relevante Asbestfunde, d.h. Asbest in verschiedenen Raumtypen und Einbausituationen.

Im zweiten Themenblock ging es dann um die Beurteilung der bei baulichen Tätigkeiten auftretenden Asbestbelastung und die Frage, wie bei diesen Tätigkeiten ein wirksamer Schutz zu erreichen ist:

Anita Csomor vom Regierungspräsidium Kassel beschrieb die Ausgangslage für ein Kooperationsprojekt von Ländern, Unfallversicherungsträgern, Asbestsachverständigen und Fachverbänden, in dem für „staubgeneigte“ handwerkliche Tätigkeiten im Baubestand die Exposition gegenüber Asbest, Quarz sowie A- und E-Staub ermittelt werden soll. Ziel des bis 2019 laufenden Projekts sei es, die Exposition beim Arbeiten mit staubarmen Systemen nach heutigem Stand der Technik zu ermitteln, aber zur besseren Beurteilung früherer Tätigkeiten auch Arbeiten bei geringerem Schutzniveau zu berücksichtigen. Sie sprach die Schwierigkeiten an, die den Projektpartnern bei der Suche nach geeigneten Objekten für gezielte Expositionsmessungen begegnen und warb um Unterstützung bei der Akquirierung.

Christoph Emmel von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft ergänzte den Bericht durch Informationen über erste durchgeführte Messungen. Neben gezielten „Projektmessungen“ mit sorgfältig abgestimmten Rahmenbedingungen gab es auch begleitende Messungen auf „echten“ ASI-Baustellen. Ausgewertete Messergebnisse lagen zwar noch nicht vor, aber das Potenzial für Diskrepanzen zwischen Projektbedingungen und Alltagsbedingungen wurde bereits bei der Überprüfung der eingesetzten Systeme deutlich. Emmel vertrat auf Nachfrage die Einschätzung, dass von einer ggf. bekannten Staubbelastung kein direkter Rückschluss auf die Asbestfaserbelastung am Arbeitsplatz möglich sei.

Stefan Scherer von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) berichtete über die Herangehensweise in der Schweiz, nachdem man dort auf das hohe Belastungspotenzial bei der staubenden Bearbeitung asbesthaltiger Fliesenkleber aufmerksam geworden war. Messungen hatten Belastungen zwischen einigen 10.000 und mehreren Millionen Asbestfasern/m³ ergeben, trotz niedriger Asbestgehalte im Material (meist unter 0,1 %) und nasser Bearbeitung bzw. Quellenabsaugung. Inzwischen ist in der Schweiz vorgeschrieben, dass Arbeiten, bei denen erhebliche Mengen Asbestfasern freigesetzt werden können, nur von anerkannten Asbestsanierern durchgeführt werden dürfen. Dazu gehören – bei asbesthaltigem Material - z.B. das Abschlagen von Fliesen und Schleifen von Mörtel. Ab einer Fläche von 5 qm muss eine Sanierung asbesthaltiger Wand- oder Bodenbeläge der Behörde mitgeteilt werden. Damit Asbestmaterialien nicht übersehen werden, gibt es Ermittlungspflichten für Arbeitgeber und für Bauherren.

Michael Schmidt-Driedger von der Redaktion Fliesen + Platten (Rudolf-Müller-Verlag) schilderte, wie der Verlag seit 2009 regelmäßig zur Asbestproblematik im Gebäudebestand berichtet und das Thema bei der Jahrestagung 2016 des Fliesenlegerverbandes in einer Podiumsdiskussion behandelt hat. Rückmeldungen von Betrieben zeigen, dass die Botschaft bei vielen angekommen ist, aber die Frage „wie weiter“ noch auf Antwort wartet. In der Diskussion wurde angesprochen, dass in den letzten Jahren – nach Wegfall des Meisterzwanges – die Zahl der Betrieb sprunghaft gestiegen, der Organisationsgrad aber gesunken sei. Für asbestbezogene Qualifikationen und die Verbesserung der Aufmerksamkeit für die asbesthaltigen Materialien bei Umbauaufträgen hat dies zu einer schwierigeren Ausgangslage geführt.

Fazit: Nach dem Asbestverbot von 1993 und den Anstrengungen der Folgejahre, die offensichtlichsten Gefährdungen durch Asbest zu beseitigen, müssen wir nun erkennen, dass viele Fragen noch unbeantwortet und wichtige Aufgaben noch offen sind. Angesichts der vielfältigen Verwendungsformen von Asbest und der großen Zahl derer, die potenziell mit solchen Materialien in Berührung kommen, ist hier ein langer und mühsamer Weg erkennbar. Die engagierten Vorträge und die lebhaften Diskussionen bei der Veranstaltung zeugten aber auch von einer großen Bereitschaft, sich den vielfältigen Fragen zu stellen und nach Antworten und Lösungen zu suchen.

Durch die Veranstaltung führte Bernhard Brückner vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI).

Programm und Vorträge können Sie hier herunterladen:

Programm

G. Albracht
IALI
"Lehren aus der ersten Asbestkrise"
(Vortrag folgt in Kürze)

Harald Henzel
Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz
und technische Sicherheit Berlin
(LAGetSi Berlin)
"Nur Unkenntnis und falsche Arbeitsweise?"

Manfred Sedlatschek
Betriebsratsvorsitzender Elektro Kreutzpointer GmbH
(IG Metall)
"Weiß mein Chef genug, um mich zu schützen?"

U. Schubert (BZR-Institut Bonn) und
Dr. A. Berg (Dr. A. Berg GmbH)
"Renovierungsbedarf der Arbeitsrichtlinie"
"Flächige asbestverwendung in Gebäuden"

Dipl.-Ing. Maria-Theresia Erat
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt
(SenStadtUm Berlin für FK Bautechnik)
"Asbest in Gebäuden - Bauordnungsrechtliche Aspekte"

Dipl.-Ing. Martin Kessel
Arcadis Deutschland
(Obmann VDI-RL 6202 BI. 3)
"Die VDI-Richtlknie 6202 BI. 3"

C. Jehn
Gebäudediagnostik Wesselmann
"Asbest an der Wand?"
S.Scherer
SUVA
"Erfahrungsbericht Schweiz: Staubende Arbeiten an asbesthaltigen Fliesenklebern"

Dr. Anita Csomor
Regierungspräsidium Kassel
(RP Kassel)
"Asbestexposition minimieren: Was leistet staubarmes Arbeiten?"

Ch. Emmel
BG Bau
"Ermittlung der Exposition von Beschäftigten bei Tätigkeiten mit asbesthaltigen Putzen, Spachtelmassen und Fliessenklebern"

Michael Schmidt-Driedger
Fachredakteur Technik
(Redaktion FLIESEN & PLATTEN)
"Den Fliesenleger informieren!"

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